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Eine
kleine Epoche lang war Herne vor allem unter einem
Begriff bekannt: als "Stadt der Bohrhämmer".
Zweitnamen und Bekanntheit verdankte Herne vor dem
Zweiten Weltkrieg dem Unternehmer Heinrich Flottmann, der
aus Schlägel und Eisen eine einzige Maschine
konstruierte - ein wichtiger Schritt für die
Modernisierung des Bergbaus. Heute bestimmen andere
Schwerpunkte das Leben in der Emscherstadt.
Die Flottmann-Hallen an der Flottmannstraße gehören
noch immer dazu - doch längst nicht mehr als
industrielle Arbeitsstätte. Heute kennt die Region die
Flottmann-Hallen als kulturelles Zentrum, in dem
zeitgenössische bildende Künstlerinnen und Künstler
viel Raum und Licht für Bilder und Skulpturen finden,
bekannte Kabarettisten Station machen, moderner Tanz
aufgeführt wird, wo mal avantgardistische Musik, mal
Dixieland zu hören und vielfältige Einblicke in die
freie, professionelle Theaterlandschaft möglich sind.
Heute tagen in den Flottmann-Hallen Menschen, die sich
mit aktuellen politischen und künstlerischen Fragen
auseinandersetzen, machen Kinder Bekanntschaft mit dem
Abenteuer Kunst, erleben Blinde die Ausstrahlung moderner
Skulpturen.
Das
einzige, das 1902 schon ebenso für diesen Standort galt
wie heute, ist seine günstige Verkehrslage. Ein Grund
für Heinrich Flottmann nach Herne umzusiedeln, als sein
Bochumer Werk durch einen Brand vernichtet wird. Zweites
Plus für Herne ist der große Flächenvorrat, den
Flottmann im Laufe der Jahre auch ausnutzen wird.
Doch 1902 umgibt die Stelle, an der die Bestandteile der
Firma mit Pferdefuhrwerken angekarrt werden, noch freies
Feld. Hier können die 30 Arbeiter, mit denen der Betrieb
aufgenommen wird, so viel Lärm machen wie sie wollen,
denn in ihrer Nähe führt nur ein einsamer Feldweg zur
Bahnlinie entlang.
Doch schon bald wird es hier höchst lebendig zugehen,
werden sich nur diejenigen "Flottmänner" nennen
dürfen, die "in der Arbeit voll auf der Höhe"
sind.
1908
entwerfen die Architekten Schmidtmann und Klemp jene
Schmiede, Schlosserei, Ausstellungs-und Versandhalle, die
75 Jahre später als "bedeutende Anlage für das
Ruhrrevier" eingestuft werden sollen, die "wichtige
Rückschlüsse für die Geschichte der Arbeits- und
Produktionsverhältnisse um 1910 zulassen". Zu
dieser Zeit werden die hellen, luftigen Räume als
fortschrittlich betrachtet, fortschrittlich wie die
Zeitspanne, in der die Flottmänner täglich arbeiten: Es
sind neun statt der üblichen zwölf Stunden.
Und sie haben nicht irgendein Werkstor, sondern ein
Schmuckstück von Weltrang: Links neben der
Ausstellungshalle steht an der Flottmannstraße ein
wunderschönes schmiedeeisernes Tor von sieben Metern
Höhe und neun Metern Breite. Der Schmied Füßmann hatte
das Jugendstilmotiv aus Drachen und Sonne 1898 in
Düsseldorf so kunstvoll angefertigt (für einen heute in
Vergessenheit geratenen Zweck), dass es 1900 bei der
Weltausstellung in Paris gezeigt wurde. Heinrich
Flottmann, der es anschließend kaufte, macht es zu
seinem Werkstor.
Die Stadt Herne wird das Geschenk der Familie Flottmann
1981 im Strünkeder Schlosshof aufstellen, wo es in
voller, restaurierter Schönheit nach wie vor bewundert
werden kann.
Flottmann
steigert seine Exportquote und gründet Filialen u. a. in
Prag, Madrid, Mexiko, Budapest und Johannesburg. In den
zwanziger Jahren wird Heinrich Flottmann wegen "großer
Verdienste um die Entwicklung der bergmännischen Bohr-
und Gewinnungstechnik" zum "Doktor-Ingenieur
ehrenhalber" ernannt. Und stolz feiert das
Unternehmen die Produktion des 100.000sten Bohrhammers:
Nebeneinandergelegt würden die Abbaugeräte die Strecke
von Herne nach Bochum und zurück überbrücken.
Und der Erfolg setzt sich fort, denn innerhalb von 20
Jahren erhöht sich der Anteil der maschinellen
Kohleförderung im Revier bis 1932 von 2 auf 97 Prozent.
Mitte der dreißiger Jahre avanciert Flottmann zum
Präsidenten der Industrie- und Handelskammer zu Bochum,
lässt eine neue, dreischiffige Werkshalle errichten,
weit über 1000 Arbeiter in Tag- und Nachtschichten
produzieren und sie in Firmennähe ansiedeln.
Doch
der Zweite Weltkrieg, der die Produktion noch angeheizt
hatte, lässt schließlich auch das Herner Unternehmen
nicht unverschont: Kurz vor Kriegsende fallen, ein Jahr
nach dem Tod Heinrich Flottmanns, Bomben auf das
Werksgelände und obwohl kaum etwas zerstört wird, kommt
die Produktion fast völlig zum Erliegen. Nach der
deutschen Kapitulation kann die drohende Werksdemontage
abgewendet werden - und die Flottmannwerke stehen vor der
Aufgabe, sich auf die freie Marktwirtschaft umzustellen.
Handelsbeziehungen, Produktionsstätten und Maschinen
müssen erneuert werden. Das Unternehmen erweitert sein
Programm um Kompressor- und Druckluftprodukte - und die
umliegende Siedlung um weitere Häuser. 1983 ziehen die
Flottmannwerke an die Baukauer Straße um.
Die
alten Werksgebäude werden abgerissen, nur Ausstellungs-
und Versandhalle, Schmiede und Schlosserei bleiben
stehen: Das Landesdenkmalamt befindet sie für
denkmalschutzwürdig. Die Stadt findet die
traditionsvollen und in der Region nahezu einmaligen
Jugendstilbauten zwar auch schön, kann sich aber aus
Angst vor Folgekosten nicht recht dazu durchringen, sie
aktiv zu erhalten. Der Abbruch ist bereits genehmigt, die
Bagger vorgefahren, als sie in letzter Sekunde von hoher
Stelle aus gestoppt werden: Stadtentwicklungsminister
Zöpel pocht auf den Denkmalschutz - und leistet einen
willkommenen finanziellen Beitrag zu dessen Durchsetzung.
Im Sommer 1985 entschließt sich der Rat der Stadt Herne,
das Baudenkmal künftig als öffentliche Freizeit- und
Erholungsanlage zu nutzen. Und im Oktober 1986 ist es
soweit: Mit einem großen Fest halten Kunst, Theater,
Musik und Sport Einzug in die Flottmann-Hallen.
Die Verkehrsverbindungen sind, wie gesagt, noch immer
günstig, um einiges besser sogar als 1902. Und sie
werden genutzt. Womit die Stadt Herne die Menschen nun in
die Flottmann-HaIlen lockt, verrät nun unsere Homepage.
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